Mit Wagemut und Zuversicht – Mama bei den Piraten

Meine mutige Piratenmama
von von Karine Surugue (Autor), Rémi Saillard (Illustrator)
Verlag: Carlsen
ISBN: 9783551513144

Leise, liebevoll, fast poetisch führen die Worte und Bilder den Leser durch das Bilderbuch: “Weißt du, mein kleiner Matrose, es wird ein Weile dauern, die Insel zu finden”, hatte mir meine Mama zu beginn des Abenteuers erklärt. “Aber meine Piratenmannschaft ist ein starkes Team und der Kapitän ein erfahrener Seebär!”, hatte sie mit einem Augenzwinkern hinzugefügt.

Im Bild nebenan schreitet die Mama des Kleinen tapfer auf die Gangway des Piratenschiffs zu, dessen Mannschaft so gar nicht nach Piraten aussieht. Ärzte in weißen Kitteln stehen an Deck und erwarten sie. Nach Lächeln ist hier niemandem zumute. Verständlich, denn das Piraten-Szenario trügt. Mama ist zu wöchentlichen Check-up ins Klinikum bestellt. Sie hat Brustkrebs und ist noch lange nicht über den Berg. 

Die Wirkung dieses Buches vervielfacht sich, wenn man über die Autorin, Karine Surugue, Folgendes weiß: Sie selbst ist diese Mama (mit 43 Jahren), die gerade durch die Hölle auf Erden geht. Und sie, die Montessori-Lehrerin im Umfeld von Paris, will diesen dramatischen Krankheitsverlauf ihrem vierjährigen Sohn mitteilen. Aber wie macht man so etwas? 

Kindgemäß soll die Vermittlung sein, der Wahrheit entsprechend, nicht zu trostlos, mit einem Funken Hoffnung. 

Da die Mama weiß, dass ihr Sohn begeistert ein Piratenbuch verschlingt, baut sie ihren “Fall” in diese Subkultur ein: Jeden Donnerstag geht sie auf die Reise, um die Schatzinsel zu finden. Nicht immer ist die See ruhig. Immer wieder nähern sich ihrem Schiff Seeungeheuer, die es abzuwehren gilt. Ihr Körper weist Narben auf; klar, echte Piraten haben Narben. Hin und wieder muss sie sich übergeben, das kommt von der Seekrankheit. Sie lässt sich ihre Haare abrasieren und trägt stattdessen Seeräubertücher. Verständlich, Piraten machen das so. Und dass Mama öfter sehr müde ist und sich hinlegen muss, versteht der Kleine auch. Seeräuberei ist einfach wahnsinnig anstrengend. 

Der Kampf aber lohnt sich. Am Ende findet Mama mithilfe der Arztpiraten die Schatzinsel und vertreibt all die Seeungeheuer.

Karine Surugue lässt in einfühlsamer, faszinierender Weise ihren Sohn Anteil an ihrer Krankheit haben. Nicht nur das, er darf fest davon ausgehen, dass er seiner Mama, die so mutig und tapfer kämpft, helfen kann. Nicht das Leid steht im Mittelpunkt, sondern das ernsthafte Ringen mit der Krankheit und die Hoffnung auf ein gutes Ende. Schließlich findet Mama die Schatzinsel – und der Jubel des Kleinen ist unbeschreiblich. Surugues Text und Rémi Saillards Illustrationen summieren sich zu einer atemberaubenden Einheit.

Eine Liebeserklärung an unseren Planeten

Meine Freundin Erde
Von Patricia MacLachlan (Autorin) und
Francesca Sanna (Illustratorin)
NordSüd-Verlag
ISBN: 9783314105128

In vielen Kulturen wurde und wird unser Planet gerne als “Mutter Erde” personifiziert, das Weibliche als der Urgrund alles Fruchtbaren und Schöpferischen gesehen. Die Autorin Patricia MacLachlan und die Illustratorin Francesca Sanna verwenden auch diese Metapher, mit dem Unterschied allerdings, dass ihre Urmutter als Freundin mit kindhaften Zügen und brauner Hautfarbe auftritt. Deren Funktion aber ist dieselbe: die Sorge um die Schöpfung treibt sie um und lässt sie zur Hüterin werden. Sie, die körperlich mit der Natur verwoben scheint und in deren Rhythmus agiert,  nimmt alles Große und Winzige wahr, ob scheidenden Winter oder das Krächzen der Krähen. Ihren übergroßen, sehr aufmerksamen Manga-Augen entgeht nichts. Sie beobachtet, nimmt teil an der Kostbarkeit des Lebens um sie herum und greift helfend ein, wenn es sein muss: Die Schimpansin geleitet sie zu ihrem Nest für die Nacht, das Zebrakind zu ihrer richtigen Mutter; sie pflegt das wispernde Gras der Prärien und die Flechten der Tundra, sie gießt den Sommerregen und lässt Herbstwinde durch die Glieder der Bäume fegen. Und siehe, alles ist gut.

Im Gefüge von Zeit und Leben, von Rhythmus und Sinn geht das Jahr um. Wie der Inhalt des Buches, so auch die äußere Form. Wellenförmig abgerundet und farblich abgestimmt deuten die Seiten beim Blättern ebenfalls das Ablaufen eines Jahres an. Umwerfend die faszinierende Bildwelt von Francesca Sanna. Liebevoll komponierte Laser-Stanzungen ergeben Fenster, die den einen Aspekt mit dem anderen wunderschön verbinden und das Buch auch zu einem haptischen Erlebnis werden lassen. Aller Aufwand ist gerechtfertigt, er soll Achtsamkeit und Wertschätzung unserer Erde gegenüber ausdrücken.  

Ach ja, der Mensch kommt darin nicht vor, auch nicht die irren Probleme, mit denen er zu kämpfen hat. Besser so. Dieses Buch – ein Kunstwerk, vor allem aber ein Festakt mit Würdigung von Mutter Erde.

Im Campingbulli nach Süden. Tut der Seele gut.

Kurve kriegen – Roadtrip mit Wolf 
von Hans-Jürgen Feldhaus
dtv Verlagsgesellschaft
ISBN: 9783423740548

Roadtrip? Gab’s das nicht früher auch schon? Der Schriftsteller Johann Gottfried Seume machte 1802 seinen berühmten Spaziergang nach Syrakus. Nun ja, er schrieb seine Eindrücke zu Landschaften und deren Menschen nieder. Bei einem Roadtrip sind solche Aspekte eher sekundär, im Mittelpunkt steht die eigene, meist lädierte Psyche, die dringend Gesundung und Orientierung braucht. Wie die fünf Typen dieses Buches, die nach Sardinien wollen, aber noch Korsika geraten. Jeder für sich ein Häufchen Elend, in Kombination mit einem Hund, der aber ein Wolf sein soll, eine durchaus lebenstüchtige, fröhliche Gruppe. Je irrer die Situation, umso besser für den Leser. Er schüttelt sich vor Lachen und giert danach, wieder weiter lesen zu können. Nicht nur über die schrägen Aktionen, vor allem auch über den flapsig-abgedrehten Jugendjargon der Protagonisten, von denen jeder für sich ein Unikum darstellt. 

Der Autor Hans-Jürgen Feldhaus erweist sich als wohlwollender Jugendversteher, der tief in die Seele hin- und her holpernder Jugendlicher zu blicken versteht. Gegen Ende der Reise, bei der kein Fettnäpfchen ausgelassen wurde, kommt die Wirkung dieses Seelen-Heilungsprozesses zum Vorschein: eine Ahnung von Glücksgefühl. 

Ein Buch dieser Art könnte man gut und gerne auch in der Apotheke verkaufen. Ob an Gesunde oder Leidende, egal. Allen tut es gut.     

Wenn der Geist der Grünen Johanna ein Städtchen von heute überfällt

Geister sind unser Geschäft: Aus den Akten der Detektei Donnerschlag (Bd. 2) 
von von Jana Scheerer
Verlag: Woow Books
ISBN: 9783961770625

Diese Detektivgeschichte beginnt wie so viele: Harald, der Detektiv, sitzt in seinem Büro und langweilt sich. Zum Glück bahnt sich ein krasser Fall an, der das Aufklären einer Spuk-Alptraums  zum Thema hat. Aus dem Wasserhahn läuft hellgrün-neonfarbiges Wasser, nahezu mit Leuchtqualität! Dem nicht genug zeigen sich plötzlich die Schafe von  Wiebkes Mutter (Wiebke ist eine von zwei Mitarbeiterinnen Haralds) mit grünen Totenköpfen bedruckt. Und schließlich gibt sich schemenhaft ein körperloses Gesicht auf dem Deich als Grüne Johanna aus und spricht Drohungen aus. Alles in Grün natürlich. Die Menschen sind beunruhigt, auch wenn nicht alle von dem grünen Spuk betroffen sind. 

Irgendwie scheint das alles mit dem neuen Roman zusammenzuhängen, den Aurora und Klara Schwartz in Ruckelnsen, einem Städtchen an der Nordsee, zur selben Zeit vorstellen. 

Eine heikle Aufgabe für Harald, Wiebke und Trix, zumal die übersinnlichen Elemente  dieses Falles tief in der Vergangenheit dieses Städtchens verwurzelt zu sein scheinen. Fremde Personen tauchen plötzlich auf und sind mit von der Grusel-Partie, was das Ganze natürlich nicht einfacher macht.

Als Leser leidet man natürlich mit den Detektiven mit, handelt es sich hier doch noch um Kinder. Zum Glück agieren diese aber fast schon so cool wie Profis und legen abgezockt Schicht um Schicht der zunächst unsichtbaren Zusammenhänge frei. Auch bei einem klassischen Abenteuer-Szenario, das sie durchzustehen haben, machen sie eine gute Figur. Aber mal ehrlich, wer würde schon davor zurückschrecken, einen Schatz, der einst von einer Piratin auf einer Insel versteckt wurde, zu heben? Wie sich herausstellt, ist dieser letztlich der Ausgangspunkt aller Aufregungen in Ruckelnsen. 

Doch das zieht sich hin, ja-ja, Spannung muss sein. Kunstvoll hat die Autorin die große Suche mit einer alten Sage in Gedichtform verwoben. Sagen greifen ja bekanntlich gerne dunkle Ereignisse von früher auf, wie das Tun und Treiben der Grünen Johanna, einer Piratin – und ein Gedicht kann ein perfektes Medium für klug versteckte Hinweise sein. Die Fähigkeit, diese zu deuten, muss freilich vorhanden sein. Eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe für die drei cleveren jungen Leute.  Für den Leser ein paar vergnügte, anregende Stunden. 

Von dem alten Traum, in den Schülern Flammen der Bildung zu entzünden

Frau Honig und die Schule der Fantasie
Von Sabine Bohlmann 
Verlag: Planet!
ISBN: 9783522506793

Was für ein Glück für die Kinder der Klasse 4b, als Frau Honig, das Kindermädchen, versehentlich in deren Schulbetrieb hineingerät! Kein Gespür für die Bedeutung des Lehrplans, ahnungslos dem jahrhundertealten Know-how der Schulorganisation gegenüber und der pflichtbewussten Vergabe von Noten – dafür aber ausgestattet mit einer unendlichen Liebe zu den Schülern, einer unbegrenzten Menge an Fantasie und na ja, – ganz in Mary Poppins’ Art – mit der Begabung für echte Zaubertricks. Sie setzt auf Spaß am Lernen, will den Schülern Lebensberatung vermitteln und ihnen Glücks-Momente eröffnen. Genug, um das traditionelle Unterrichtssystem dieser Schule auszuhebeln.

Die Klasse 4b, von der Schulleiterin als “schwierig” beschrieben, wandelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einer Fan-Gruppe von begeisterten “Followern”. Wer es als Lehrer*in schafft, eine Kreide auf bizarre Weise autonom an der Tafel schreiben zu lassen, dem gehört die Aufmerksamkeit der Kinder, keine Frage. Und Frau Honig konnte das mit links – und noch viel mehr. Den kleinen Bijan aus Somalia redete sie auf Somali an – seine leuchtenden Augen waren der Dank. Frau Honigs feine Sensoren hatten längst erspürt, dass es Bijan aufgrund seiner Andersartigkeit und der mangelnden Deutsch-Kenntnisse schwer in dieser Klasse hatte. Ihre pädagogisch-psychologischen Antwort war das Wörterbad, das ihm seine Mitschüler angedeihen lassen sollten. Frau Honigs Methoden, ihr Schwung, ihre Spontaneität irritierten sogar so manche Schüler. Für die einen hatte sie “nicht mehr alle Tassen im Schrank”, der Musterschülerin des alten Systems fehlte die Sonderbehandlung durch ihre Klassenlehrerin. Für Alicia, der Strebsamen, der optimal Angepassten brach eine Welt zusammen, von Frau Honig hören zu müssen: “Ich habe den Stundenplan in den Müll geworfen. Er lässt dem Lernen nicht genug Luft! Er ist unbeweglich und nicht sonderlich originell.“

Natürlich folgte Frau Honig einem Lehr-Plan, doch dieser war so ganz anders gestrickt und erschien so aufregend neu. Ihre Maxime hatte sie dem Oldie Heraklit von Ephesos (520 v. Chr.) entliehen: “Bildung ist nicht das Befüllen von Fässern, sondern das Entzünden von Flammen.”

Man beginge einen Fehler, würde man dieses Buch als Lehrwerk für Pädagogik-Studenten betrachten. Es handelt sich um eine kunterbunte, kurzweilige Erzählung mit einer bezaubernden Protagonistin, die den jugendlichen Leser freilich in raffinierter Weise verleitet, das turbulente Fantasie-Geschehen mit dem eigenen Schulalltag zu vergleichen. Und das können Fridolin, Noah und Hannah selbst in Corona-Zeiten nur zu gut.

Sabine Bohlmann, die Autorin, klagt nicht an, sie präsentiert in witzigen Worten eine Lehrerin, die so erfrischend anders ist: locker, unbeschwert und mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Bei der Meinungsfrage in Antolin bekundet der Großteil der Schüler: “Ich hätte auch so gerne eine Lehrerin wie Frau Honig.”

In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts raubte A.S. Neill mit seiner Idee von “Summerhill”, einem radikalen Schulversuch in Südost-England, jungen Lehrerstudenten den Schlaf. Auch hier war der Ausgangspunkt der Traum von einer Schule, der es gelingt, den Schülern gleichzeitig eine Wohlfühlatmosphäre zu bieten und ihnen ein Universum von Anregungen und Werkzeugen zur Verfügung zu stellen, um deren Fähigkeiten freien Lauf zu lassen.

Gut nachzuvollziehen, dass Frau Honigs Kolleginnen sie bald skeptisch und misstrauisch beäugten. Doch nicht lange. Ihre Heiterkeit und Fantasie sprang rasch auf die Schüler und einige Lehrer der anderen Klassen über. Eine Schülerin meinte lachend: “Ich sag ja, Frau Honig ist ansteckend!”

Den Lesern dieses Buches dürfte es ähnlich ergehen. Sabine Bohlmanns “Frau Honig” scheint auch auf sie eine magische Wirkung auszuüben. Oder ist es einfach nur so, dass diese Mischung aus guter Laune, sprühender Freude, Lebenslust, positivem Denken und Witz jeden glücklich macht? Erich Kästner wusste um diese Wirkung von Literatur und empfahl in seiner “Lyrischen Hausapotheke” das Lesen gegen den Weltschmerz, ob klein oder groß.