Antolin: Interview mit Sigrid Heuck

Das Interview ist Teil eines “Antolin-Spezial”-Beitrags auf www.antolin.de

Albert Hoffmann

(Interview mit Sigrid Heuck August 2012)

Draußen die Natur und die Welt, drinnen ein Himmel voller Bücher

Frau Heuck, Sie wohnen in Einöd. Wenn ich Sie und Ihr Haus betrachte, so hat Einöd wohl nichts mit Einsamkeit und Langeweile zu tun.

Nein, gar nicht. Es war wohl früher, als es die Straße noch nicht gab,  hier sehr einsam. Mein Haus, eigentlich eine alte Mühle, ist wahrscheinlich auch älter als die Ortschaft nebenan. In diesem Haus wohne ich seit 50 Jahren. Ich bin sehr glücklich hier, obwohl ich nicht bayrisch rede. Ich fühle mich sehr integriert, und jetzt, da ich alt bin, helfen mir alle. Das tut mir natürlich gut.

Sie waren nicht von Anfang an Schriftstellerin.

Nein, ich war Grafikerin und war das eigentlich auch mit Begeisterung. Meine Technik war die Collage – und die war damals recht gefragt. Eines Tages kam ein Lektor des Thienemann-Verlags auf mich zu und sagte: „Machen Sie ein Buch bei uns!“ Ich war begeistert: „Ja, das übernehme ich gerne!“

Ich habe ihm dann zwei „Vignetten-Bücher“ vorgeschlagen, bei denen die Kinder nie eine ganze Zeile am Stück lesen müssen. Die Hauptwörter sind als Bildchen dargestellt.

Eines dieser beiden Bücher war „Pony, Bär und Apfelbaum“. Ich habe es geschrieben, gemalt und schließlich alles zusammengeklebt. Heute würde man das digital machen. Das Buch hat sich in der ersten Auflage im kleineren Format 30.000 Mal verkauft. Dann wurde das Format vergrößert. Heute ist es in 16 Sprachen auf dem Markt.

Kann man sagen, dass Sie diese „Vignetten“-Art in Deutschland als Erste verwendet haben?

Ich habe sie WIEDER entdeckt. Der Verlag hat versucht, sie mit Musterexemplaren zu schützen, aber sie wurde kopiert und kopiert und kopiert.

Es gab so ähnliche Bücher im 19. Jahrhundert. Eines davon hatte ich bei meiner Großmutter gesehen. Da habe ich mir immer gedacht: Das muss ich nie ganz lesen. So ein Buch ist schnell verschlungen. So bin ich da drauf gekommen.

Frau Heuck, Sie wissen, dass Kinder, Grundschüler insbesondere, sehr gerne eigene Bücher anfertigen. Das haben Sie ja auch gemacht.

(lacht)

Ja, schrecklich! Auch ich habe als Kind ein Buch geschrieben. Es mir kürzlich in die Hand gefallen. „Purzel und die Lerche“ hieß es.

Sie hatten später eine Zeit, in der Sie viele Indianer- und Cowboy-Bücher geschrieben haben. Einige dieser Bücher wie beispielweise „Petah Eulengesicht“ wurden beliebte Klassenlektüre.

Ich habe angefangen mit dem Collage-Bilderbuch „Büffelmann und Adlerkönig“. Kurz darauf wurde ich gebeten, den Text für ein Kinderbuch zu entwerfen. Es wurde „Cowboy Jim“ daraus, später folgte ein zweiter Band. Beide erschienen in mehreren Auflagen.

Anschließend nahm ich den Auftrag an, 4-Minuten-Sandmännchen-Geschichten fürs Fernsehen zu schreiben, die später auch in Buchform erschienen. Da ich gerne Cowboy-Geschichten schrieb, aber das Schießen nicht mochte, war mein Cowboy einer, der nicht schoss, sondern viel lieber Süßigkeiten schleckte und kein großes, sondern ein kleines, schlaues  Pferd hatte. Mit diesen Büchern hatte ich schöne Erfolge. Alle anderen Western-Bücher sind Folgen davon. In diesen Büchern stecken eine Unmenge von Erfahrungen und Ideen, die ich hier mit den Pferden gemacht habe.

Wenn man sich Ihrem Haus nähert, wird man zunächst von Pferden begrüßt. Man spürt Ihre Liebe für Pferde aber auch in den Büchern.

Ja, ich bin mit Pferden aufgewachsen.

Die Pferdebücher nehmen einen großen Teil Ihres Lebenswerkes ein. Ein Pferdebuch fand besonders viele Liebhaber: „Colleen“.

Bei Colleen hat mich damals ein Lektor angerufen und gesagt: „Machen Sie doch wieder ein Pferdebuch!“ Ich dachte, es gibt doch eh so viele Pferde-Bücher; muss es denn noch eines sein?

Dann lag ich draußen in der Sonne und dachte nach. Plötzlich kam mir in den Sinn, ich könnte ja „zum Beispiel“ ein Buch über die Geschichte meiner Stute Colleen schreiben. Kurze Zeit darauf hieß tatsächlich die Erstausgabe „Zum Beispiel Colleen“, später dann nur noch „Colleen“. Ich erzähle in diesem Buch eine wahre Geschichte: wie ich Colleen in Irland gekauft und nach Deutschland gebracht habe; wie ich das Pferd mehr gepflegt als geritten habe. Wie viel Spott musste ich mir anhören, wenn ich, die körperlich Große, auf dem kleinen Pony ritt! (lacht) Colleen war eine Pferdepersönlichkeit. 24-jährig starb sie an einer Kolik.

Sie sind zwar sehr in Ihrer Einöde verwurzelt, aber gleichzeitig hat sie die Welt draußen immer interessiert.  Sie waren in Asien, (Süd-)Amerika, Afrika.

Wenn mir während des Reisens eine Idee kam, wenn mir irgendetwas auffiel, so notierte ich mir das. Oftmals wurde daraus ein Buch, wie zum Beispiel bei „Mondjäger“: Ich hatte in Südamerika den Eindruck, da kommen so viele Pseudo-Expeditionen in die Amazonas-Region. Sie gehen in den Urwald und suchen Indianer-Stämme, die bisher noch keine Berührung mit den Weißen hatten. Ich fand, dass dadurch unendlicher Schaden verursacht wird.

Der „Windglockentempel“ spielt in China.

Ja, in China war ich bereits vier Mal. Ich hatte die Idee zum „Windglockentempel“ und musste mehrmals dorthin, um Recherche zu betreiben.

Ganz besonders gut kennen Sie Nordafrika.

Ja, Afrika hat mich sehr interessiert.

Faszinierend ist Ihr Buch „Said‘s Geschichte“, ein Ergebnis Ihrer Reisen dorthin.

Mit einer Freundin war ich in Afrika. Wir ritten in einer kleinen Gruppe mit den Tuareg. Wir besuchten Mali. Die Frage, die sich mir stellte: Was brauchen die Leute in der Wüste tatsächlich? Alle Welt rennt hinter Geld und Schätzen her. Was ist in der Wüste das Allerwertvollste?

Ich erzähle in diesem Buch von einem Jungen, dem immer erzählt wurde, dass es in der Wüste einen Schatz gibt. Er sucht und sucht. Dann findet er Wasser und ist enttäuscht. Auf seinem Lebensweg lernt er schließlich, das Wasser zu schätzen.

Eines meiner Lieblingsbücher war und ist „Meister Joachims Geheimnis“. Als ich es zum ersten Mal las, war ich unendlich beeindruckt, als der Protagonist in ein Bild einstieg.

Ich bin immer zurückgegangen zu dem, was mich als Kind beeindruckt hat. Meine Mutter ging trotz der vielen Arbeit mit den Pferden immer wieder mit uns in Ausstellungen und Konzerte. In einer Breughel-Ausstellung hatte ich als Kind den Wunsch, in die mittelalterlichen Szenen der Bilder  hineinversetzt zu werden. Das hat mich mein Leben lang fasziniert. In einer Ramschkiste habe ich dann später zufällig ein Buch über den flämischen Maler „Patinir“ gefunden. Da hatte ich wieder diese Idee, in Bilder einzusteigen. So entstand dieses Buch.

Wegen Ihres Arbeitsplatzes dürften Sie von vielen beneidet werden: draußen der Teich, die Wiese, die Bäume; innen ist ihr Haus mit wunderbaren Bücher vollgestopft. Man könnte es mit einer Bibliothek verwechseln.

Ich habe von Kindheit an viel gelesen. Dann kam zwar das Fernsehen, aber das Lesen ist nie vergangen. Die innere Vorstellung, die durch das Lesen erzeugt wird, ist einfach gewaltig. Es ist mir mehrfach passiert, dass ich in Büchern einfach „weg“ war, dass ich in den Büchern gelebt habe. Habe ich es ganz besonders gerne, so will ich es besitzen. Bei mir gibt es eine Ecke, in der ich immer beim Lesen sitze. Da wird jedes Buch zum Erlebnis.

Ihr neustes Buch ist wieder ein Kinderbuch: „Schneckenkönig“. Für mich ist klar: Es kann nur hier, in dieser romantischen Umgebung entstanden sein.

An meinem Teich und in meinem Garten ist immer etwas los. Tiere vielerlei Art tummeln sich hier:  Isarläufer, Mandarin-Enten, Eisvögel, die nach den kleinen Fischchen tauchen; Ringelnattern im Teich (Kürzlich konnte ich beobachten, wie eine Ringelnatter einen Frosch fraß), ein Fuchs. Jetzt warten wir auf Waschbären. Im Moment habe ich eine Siebenschläfer-Plage im Haus. Diese Tiere sind sehr laut, sie laufen nachts im Haus herum.

Beim Schneckenkönig geht es um ein Mädchen, das ein ganz seltenes Schneckenhaus findet: eines, das sich links herum dreht. (So etwas gibt es tatsächlich! Aber eben sehr selten, ist aber für die Forscher sehr interessant.) Daraus habe ich einen fantastischen Krimi gemacht.

Herzlichen Dank für das Gespräch!