Albert Einsteins geheimes Forschungsprojekt mit einer Maus

Einstein – Die fantastische Reise einer Maus durch Raum und Zeit
von Torben Kuhlmann
Verlag: NordSüd
ISBN: 9783314105296

Und wieder ein Pionier, den der deutsche Illustrator und Autor Torben Kuhlmann in seiner unnachahmlichen Weise vorstellt: diesmal Albert Einstein, den Physiker und Vater der Relativitätstheorie. Nicht nur in biographischer Form. Seine Hauptintention ist es, Kinder in die Zusammenhänge von Raum und Zeit einzuführen, deren Kurzform lautet: “Zeit ist relativ”. Eine wahrlich anspruchsvolle Aufgabe.

Seine ersten vier Bücher dieser Kategorie (Lindbergh, Armstrong, Edison) zählen zu den modernen Edel-Klassikern. Keine Frage, auch “Einstein” zählt ab jetzt dazu.  Kuhlmanns “Bilderbücher” sind außergewöhnlich. Er versteht es, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wunderbar miteinander zu verschlingen, Reales geht in Fiktionales über und umgekehrt, ohne dass man dies als störend empfinden würde und die perfekte Kunst, eine Geschichte mit Text und Bildern gleichwertig-harmonisch zu erzählen. Das geht sogar so weit, dass er immer wieder detailverliebte, akribische Bildfolgen über mehrere Seiten erscheinen lässt, die anstelle des Textes die Geschichte weitererzählen. Optische Typen mit Hang zur Ästhetik werden in Wonne zerfließen.

Durch die Geschichte selbst führt uns eine clevere, hartnäckige, wissbegierige Maus. Und weil sie um einen Tag das große Käsefest verpasste, beschäftigt sie sich von da an mit dem Thema Zeit. Ihr Ziel? Die Zeit zurückzudrehen, um an diesem Käse-Spektakel doch noch teilnehmen zu können. Schritt für Schritt kämpft sie sich vor bzw. zurück – bis sie schließlich bei der Doktorabeit von A. Einstein im Patentamt in Bern landet – und damit bei der Theorie von der Relativität der Zeit.

Die muntere Maus liest sie und baut in der Folge ein Mini-Raumfahrzeug, mit dem sie tatsächlich in die Vergangenheit sausen kann. Beim ersten Versuch schießt sie jedoch um mehr als 80 Jahre über das Ziel hinaus. Macht aber nichts, denn im Jahr 1905 trifft sie auf das Genie Einstein. Den Kontakt stellt sie über Rätsel her, die A. Einstein möglicherweise erst auf den Trip mit der Relativitätstheorie bringen, ein gewagtes, aber amüsantes Gedankenspiel.

Auf jeden Fall sorgt die kleine Maus und ihr großer Partner für eine muntere, kurzweilige und geistreiche Geschichte. Abenteuerlich erscheint allerdings die Aussage des Verlages, das Buch sei für Kinder ab 5 Jahren geeignet. Die Spielchen der Maus vielleicht, die Verständlichmachung von Einsteins berühmter Theorie sicherlich nicht. Vielleicht schafft das ein Zwölfjähriger mithilfe des Info-Anhangs.

An Weihnachten denken wir an Würmer und Schmetterlinge

Mein Weihnachtswunsch für dich
von Michael Morpurgo (Autor) und
Jim Field (Illustrator)
Verlag: Loewe
ISBN: 9783743208780

An Weihnachten, dem christlichen Fest, wird – jeder kann es bei Wikipedia nachlesen – die Geburt Christi gefeiert. Eng damit verbunden sind Hoffnung, Freude und die Bereitschaft, anderen etwas zu schenken. Bücher zum Beispiel, was natürlich so manchen Autor lockt. Michael Morpurgo ist ein geschätzter, britischer Autor, mit vielen Preisen ausgezeichnet und von der Queen zum “Sir” ernannt.

Seine kreative Idee für das diesjährige Weihnachtsbuch verwundert jedoch. Ihm liegt weniger der originäre Weihnachtsgedanke am Herzen, sondern die höchst gefährdete Situation unseres Planeten. Er erinnert an die Würmer, den Gemüsegarten, Amseln und Drosseln. An das zerbrechliche Leben auf dem Planeten, an die Schmetterlinge, Bienen und Vögel. Keiner wird Morpurgo widersprechen, wenn er dazu aufruft, “unsere Erde wieder zu lieben, sie so zu lieben, wie ich dich liebe und du mich”.

Alles super, na klar, aber – ach ja, Weihnachten! Nun ja, eine kleine Rahmenhandlung klebt an seinem „Rettet-die-Erde-Aufruf“ dran: Ein Großvater schreibt einen Brief an einen jungen Menschen, seine Enkelin; nicht ganz originell, von der Sorte gibt es genügend in der Literatur: Peter Härtling, Hans Fallada oder Matthias Claudius zum Beispiel. Alle mit derselben Intention: in wohlwollender Formulierung ein Schubkarren voller Ratschläge. Alles gut gemeint, alles richtig – aber was hat das mit Weihnachten zu tun?

Nun ja, bei Morpurgo liegt Opas Brief seit vielen Jahren unter dem Christbaum. Zur Heilig-Abend-Zeremonie gehört, ihn der Familie vorzulesen, Opas Vermächtnis als Weihegebet bei Kerzenschein vor dem Anstoßen mit Sekt.

Okay, kann man machen. Nahezu dieselbe Feier ließe sich aber auch an Ostern oder Pfingsten arrangieren. Anstelle des Christbaums findet sich sicherlich eine andere Deko.

Von Pinocchio und der Magie der Bücher


Die Abenteuer des Pinocchio
von Carlo Collodi (Autor),
MinaLima Design (Illustrator)
Verlag: Coppenrath
ISBN: 9783649635680

Bücher werden ihrer Inhalte wegen geliebt. Wirklich? Doch dazu bräuchte es des physischen Buches nicht, das übernimmt heutzutage in digitaler Version jedes noch so kleine Gadget. Wo ist dann aber der Zauber zu finden, der für viele einem gebundenen Buch anhaftet – im Gegensatz zu dem eher als kühl empfundenen metallenen Gerät? Das Berührende, zauberhaft Magische steckt dann wohl mindestens zum Teil im Haptischen, im Sinnlichen. Nach Astrid Lindgren spürt man beispielsweise “am Geruch, wie herrlich es wird, dieses Buch zu lesen.” 

Der Coppenrath Verlag hatte sicherlich die traumhaft-schönen Folianten des Mittelalters mit dem Überschwang an Ornamentik rund um eine Initiale im Blick, als er sich entschloss, die Buchreihe Klassiker MinaLima 2015 aus der Taufe zu heben. Im Oktober 2020 erschien “Die Abenteuer des Pinocchio” in diesem Geiste, einem mit Herzblut und ultimativen Sinn für Ästhetik geschaffenem Buch-Kunst-Werk. Gut lässt sich die Betonung auf Harmonie zwischen Form und Inhalt erkennen. Ein so liebevoll, aufwändig gemachtes Buch kann nicht ganz billig sein, aber es stellt einen Mehrwert dar. Neben seinem jahrhundertelang frisch gebliebenen Inhalt fasziniert die visuelle Gestaltung, das Buch als Schatzkästchen im Wohnzimmer. Der Betrachter nimmt es staunend zur Hand und blättert andächtig darin. Pinocchio, ein Klassiker, der sich in dieser “Prachtausgabe” sichtlich wohlfühlen dürfte. Die interaktiven Elemente – wie Finger- und Anziehpuppen und einem kleinen Theater – laden dazu ein, sich auch haptisch mit dem Geschehen zu befassen. 

Geschichten wie „Die Abenteuer des Pinocchio“, denen man im Laufe der Jahrhunderte das Signum “Klassiker” verlieh, sind von einer Aura umgeben, die sie herausheben aus der Fülle von Alltagsware. Zu Recht. Sie berühren zeitlos-fundamentale Brennpunkte des Lebens, zeigen den Menschen in seinen Eigenarten, seinen Schwächen und Stärken, sind in einer kraftvollen Sprache formuliert und haben den Status der Zeitlosigkeit erreicht. Auch nach vielen Jahren noch spürt man ihre Ausstrahlung. Ob Alt oder Jung, alle werden in ihrer Verstandes- und Gefühlswelt angesprochen.   

So darf man “Die Abenteuer des Pinocchio” als lustige, skurrile Erzählung mit nettem Unterhaltungswert sehen, aber auch als tiefgründiges, komplexes Sammelsurium eines Menschenlebens, der sich im Gestrüpp des Alltags zurechtzufinden sucht. Die Geschichte erlaubt beides.

Spannender ist natürlich der Blick in die Tiefe dieser Marionette, die eigentlich nur einen Wunsch hat, ein echter Junge zu werden. Doch dem gehen Prüfungen vorher, die bestanden werden müssen. Nicht ganz einfach für den zunächst recht einfältigen Pinocchio, seinen Weg und seine Persönlichkeit in einer Welt zu finden, in der das Gute und das Böse allgegenwärtig angeboten werden. 

Pinocchio will ja zur Schule gehen, doch da gelangt er an eine Kreuzung, Sinnbild des Lebenswegs. Er muss sich entscheiden, Verlockungen auf der einen Seite, das sinnvolle Arbeiten auf der anderen Seite. Nur allzu oft wählt er die falschen Freunde – und muss in letzter Minute von den guten Geistern aus höchster Not gerettet werden. Doch zum Glück bleiben diese ihm treu und zeigen unendlich Geduld und Nachsicht mit ihm. Gepetto, sein Vater, ist so einer, ehrlich und gutmütig bis zur Selbstaufgabe, aber auch die blaue Fee, die seine Mutter symbolisiert. Eine echte Mutter hatte er ja nie. 

Mag sein Lebensweg holprig sein, Pinocchio wächst und reift an seinen Fehlschlägen. Er vernimmt die Stimme seines Gewissens immer besser, sieht ein, dass Lernen seinem Leben eine gute und stabile Grundlage vermittelt und erkennt schließlich, dass Freiheit auch Verantwortung und Pflicht bedeutet.

Als letzter Schubs in Richtung Läuterung und Erkenntnis erweist sich sein Aufenthalt im Bauch eines Wals, dem biblischen Jona ähnlich, in dem er Geppetto nach langer Zeit wieder trifft.

Der Leser darf aufatmen, als Pinocchios Entwicklungs-Reise sich dem Ende nähert. Eines Tages wacht er als richtiger Junge aus Fleisch und Blut auf.

Das Kind, das den Frieden auf Erden bringen soll

Das Weihnachtskind
von Rose Lagercrantz (Autor),
Jutta Bauer (Illustrator)
Verlag: Moritz
ISBN: 978-3895653094

Jeder kennt sie, die Weihnachtsgeschichte nach Lukas, ob Christ oder Nicht-Christ, ob in Europa, Asien oder anderswo. Und jeder ist berührt von dieser bezaubernden, einfühlsamen Geschichte, diesem “immateriellen Kulturgut der Menschheit”. Der Schriftsteller Martin Walser nennt sie „die schönste Geschichte, die je geschrieben wurde. Es gibt keine schönere in der Weltliteratur.”

Da dies so ist – und Jung und Alt immer wieder geradezu danach verlangt, wird sie jedes Jahr zur Vorweihnachtszeit in vielerlei Variationen als Buch neu aufgelegt. Das Problem hierbei allerdings ist: der Bevölkerungsanteil, der sich nicht mehr als christlich-religiös betrachtet, wächst. Und somit wünscht diese Käuferschicht die zutiefst menschliche, liebevolle Geschichte, nicht aber die ausgesprochen christlichen Bezüge in ihr.

Schon Astrid Lindgren war sich dieser Problematik bewusst und versuchte sich in “Weihnachten im Stall” mit einer “christlich-light” Story. Andere folgten. Die schwedische Autorin Rose Lagercrantz sieht es als Experiment an, die Weihnachtsgeschichte so zu erzählen, dass der so hoch geschätzte Gehalt so authentisch wie möglich alle Kinder erreicht, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Wie sieht so etwas aus?

Ihre Geschichte enthält die Wanderung von Maria und Josef nach Bethlehem, die Geburt im Stall, die Hirten, aber auch die magischen Elemente Stern, Engel und die Weisen aus dem Morgenland. Und eher beiläufig auch “das Kind”. Dieses Kind hat aber keinen Namen, auf dessen Verbindung mit Heilserwartung, Hoffnung, Göttlichkeit wird erst gegen Ende eingegangen. Dafür aber nehmen die Themen “ersehnter Frieden” und “bedrohte Welt” durch Herodes und Co. großen Raum ein. Wird er es schaffen, der Sohn Gottes, des Allmächtigen, den Frieden dauerhaft zu bringen, so wie man ihn in jener Nacht spüren konnte?

Die zauberhaften Illustrationen von Jutta Bauer besänftigen und nehmen Härte weg. Stark der Schluss, wenn die Autorin in sehr warmherzigen Worten des Menschen tiefe Sehnsucht nach einem Leben in Frieden beschreibt.