Ein leerer Eimer, mehr geht leider nicht

Eine Wiese für alle
von Hans-Christian Schmidt (Autor) und Andreas Német (Illustrator)
Verlag: Klett-Kinderbuch
ISBN: 9783954702428

Nicht immer erzählen Bilderbücher liebe, nette Geschichten. Das Buch “Eine Wiese für alle” fällt aus diesem Rahmen. Es beginnt mit: “Stell dir vor, du bist ein Schaf.” Neben diesem Satz steht das Schaf und schaut dir in die Augen; will sagen: ich bin du, du bist ich. Und somit ist der Leser mittendrin im Geschehen. Rundum weitere Schafe auf einer herrlich saftigen Wiese. Alles paletti so weit, vom Meer ist man durch eine hohe Klippe geschützt. 

Eines Tages aber droht Ungemach: ein etwas dunkleres Schaf nähert sich in einem geflickten, nicht  seetüchtigen Boot und bittet um Aufnahme. In seiner Heimat gab es Wolfsalarm, ein Flüchtling also. Ja, ja, man ist bereit zu helfen. Und schon fliegt ein leerer Eimer hinunter, damit der Dunkle das Wasser aus seinem lecken Boot schöpfen kann. Mehr geht leider nicht. Der Leser ahnt, wie die Geschichte enden wird. Es kommt die Flut – o Gott! – die Schafe oben auf der saftigen Wiese schließen die Augen. Im Buch folgen mehrere komplett schwarze Seiten. 

Zum Glück gibt es einen zweiten Schluss. Das dunkle Schaf steht plötzlich unter den weißen Schafen auf der Wiese mit dem saftigen Gras. Wie kam es dazu? “Ich hatte zum Glück Hilfe”, meint es – und schaut dem Leser, seinem Helfer, in die Augen.

Das Thema Migration ist schon längst in der Kinderliteratur angekommen. Auch wenn Kindern “Lesbos”, “Moria” oder “Flucht über das Mittelmeer” noch kein Begriff sein sollten, das Buch macht sie sensibel für das Gigaproblem des heutigen Europas. Doch es schildert und erklärt nicht aus einer erhöht-neutralen Position aus, es spricht direkt zum Leser und fordert ihn auf, aktiv zu sein. Fürs Überlegen bleibt keine Zeit, fürs Diskutieren ist es zu spät. – Glücklich die Kinder, deren Eltern die Zeit aufbringen, so ein Buch vorzulesen und mit ihnen drüber zu sprechen!

Wie Hugo und Hassan aus ihrem Stadtviertel einen Abenteuerspielplatz machen

Hugo und Hassan
von Kim Fupz Aakeson (Autor) und Rasmus Bregnhoi (Illustrator)
Verlag: Klett Kinderbuch
ISBN: 9783954702381

“Was geht?” schnappen Hugo und Hassan, die beiden rotzfrechen, ansonsten supercoolen Stadtjungen von Hipstern auf, die sich über das neue Griptape eines Boards unterhalten. Und wenden diesen Ausdruck und ähnliche beim Kakaotrinken gleich an – holterdipolter, so gut es eben geht. Das Leben ist bunt für die beiden, es geht runter und rauf, mal heiter, mal sauer, zart und knallhart. Sie schlagen sich, sie mögen sich. Ins Freibad mit Schwung und Arschbombe, aber nicht lange, denn dann kommt der Bademeister und wirft beide raus, gnadenlos. “Karate, das wär cool!”, meint Hassan. Und Hugo ist sofort dabei: “Boah, ja wenn einer frech ist, zack, bumm, erledigt.” Aber der Karate-Kurs ist ernüchternd. Kein Roundhouse-Kick, dafür Dauerlauf und Liegestützen. Neineinein, nichts wie weg!   

Für diese Art Jungen passt nur eine Buch-Form: die Graphic Novel. Kurze Texte, Kraftausdrücke aller Art, witzige Illustrationen mit flottem Strich, Sprach-Minimalismus, ansonsten wild und pralles Leben pur. Definitiv ein Jungenbuch, insbesondere für coole Kurzstreckenleser ab 11 Jahren. Grenzwertig die Story “Game over”, bei dem Nazis nach Lust und Können erschossen werden.

Der tolle Leonardo aus dem kleinen Vinci

Total genial! Leonardo da Vinci
von Isabel Munoz
Verlag: National Geographic Kids @ Edizioni White Star SrL
ISBN: 9788854046610

Ein biografisches Buch über Leonardo da Vinci zu schreiben kann nicht so schwer sein. Er, der Universalgelehrte mit geradezu überirdischer Interessenbreite, bietet jedem Autor Material genug. Schon die Liste von Leonardos Berufsbezeichnungen überwältigt: Maler, Bildhauer, Architekt, Anatom, Mechaniker, Ingenieur und Naturphilosoph. Für ein Kinderbuch von 40 Seiten mit einem großen Bildanteil ist da eher die Kunst des Weglassens gefragt. Doch auf diese Kunst verstehen sich die Autorin Jane Kent und die Illustratorin Isabel Muñoz. 

Den Hauptteil der Information übernehmen die flächigen, naturalistischen Bilder, seien es Darstellungen von Leonardos Kindheit und Jugend in Vinci und Florenz, seien es Kleider, Räume im damaligen Look, aber auch Blicke auf seine Skizzen, seine fertigen Arbeiten oder aber seine technischen Visionen. Goethe war überwältigt von der Lebendigkeit des Bildes “Das letzte Abendmahl” aufgrund der Vielfalt der Handbewegungen, die hier zu sehen sind. Leonardos “Mona Lisa” gilt als eines der berühmtesten Bilder der Welt, hochinteressant seine Entwürfe für ein Fortbewegungsmittel für jedermann, das sich erst viel später als Fahrrad materialisieren sollte oder sein Hubschraubermodell oder … oder. 

Wenn es Büchern gelingt, jungen Menschen die Augen für die gigantischen Möglichkeiten des menschlichen Geistes zu öffnen, haben sie ihren Job getan. Kaufempfehlung ab 8 Jahren!