Von dem alten Traum, in den Schülern Flammen der Bildung zu entzünden

Frau Honig und die Schule der Fantasie
Von Sabine Bohlmann 
Verlag: Planet!
ISBN: 9783522506793

Was für ein Glück für die Kinder der Klasse 4b, als Frau Honig, das Kindermädchen, versehentlich in deren Schulbetrieb hineingerät! Kein Gespür für die Bedeutung des Lehrplans, ahnungslos dem jahrhundertealten Know-how der Schulorganisation gegenüber und der pflichtbewussten Vergabe von Noten – dafür aber ausgestattet mit einer unendlichen Liebe zu den Schülern, einer unbegrenzten Menge an Fantasie und na ja, – ganz in Mary Poppins’ Art – mit der Begabung für echte Zaubertricks. Sie setzt auf Spaß am Lernen, will den Schülern Lebensberatung vermitteln und ihnen Glücks-Momente eröffnen. Genug, um das traditionelle Unterrichtssystem dieser Schule auszuhebeln.

Die Klasse 4b, von der Schulleiterin als “schwierig” beschrieben, wandelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einer Fan-Gruppe von begeisterten “Followern”. Wer es als Lehrer*in schafft, eine Kreide auf bizarre Weise autonom an der Tafel schreiben zu lassen, dem gehört die Aufmerksamkeit der Kinder, keine Frage. Und Frau Honig konnte das mit links – und noch viel mehr. Den kleinen Bijan aus Somalia redete sie auf Somali an – seine leuchtenden Augen waren der Dank. Frau Honigs feine Sensoren hatten längst erspürt, dass es Bijan aufgrund seiner Andersartigkeit und der mangelnden Deutsch-Kenntnisse schwer in dieser Klasse hatte. Ihre pädagogisch-psychologischen Antwort war das Wörterbad, das ihm seine Mitschüler angedeihen lassen sollten. Frau Honigs Methoden, ihr Schwung, ihre Spontaneität irritierten sogar so manche Schüler. Für die einen hatte sie “nicht mehr alle Tassen im Schrank”, der Musterschülerin des alten Systems fehlte die Sonderbehandlung durch ihre Klassenlehrerin. Für Alicia, der Strebsamen, der optimal Angepassten brach eine Welt zusammen, von Frau Honig hören zu müssen: “Ich habe den Stundenplan in den Müll geworfen. Er lässt dem Lernen nicht genug Luft! Er ist unbeweglich und nicht sonderlich originell.“

Natürlich folgte Frau Honig einem Lehr-Plan, doch dieser war so ganz anders gestrickt und erschien so aufregend neu. Ihre Maxime hatte sie dem Oldie Heraklit von Ephesos (520 v. Chr.) entliehen: “Bildung ist nicht das Befüllen von Fässern, sondern das Entzünden von Flammen.”

Man beginge einen Fehler, würde man dieses Buch als Lehrwerk für Pädagogik-Studenten betrachten. Es handelt sich um eine kunterbunte, kurzweilige Erzählung mit einer bezaubernden Protagonistin, die den jugendlichen Leser freilich in raffinierter Weise verleitet, das turbulente Fantasie-Geschehen mit dem eigenen Schulalltag zu vergleichen. Und das können Fridolin, Noah und Hannah selbst in Corona-Zeiten nur zu gut.

Sabine Bohlmann, die Autorin, klagt nicht an, sie präsentiert in witzigen Worten eine Lehrerin, die so erfrischend anders ist: locker, unbeschwert und mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Bei der Meinungsfrage in Antolin bekundet der Großteil der Schüler: “Ich hätte auch so gerne eine Lehrerin wie Frau Honig.”

In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts raubte A.S. Neill mit seiner Idee von “Summerhill”, einem radikalen Schulversuch in Südost-England, jungen Lehrerstudenten den Schlaf. Auch hier war der Ausgangspunkt der Traum von einer Schule, der es gelingt, den Schülern gleichzeitig eine Wohlfühlatmosphäre zu bieten und ihnen ein Universum von Anregungen und Werkzeugen zur Verfügung zu stellen, um deren Fähigkeiten freien Lauf zu lassen.

Gut nachzuvollziehen, dass Frau Honigs Kolleginnen sie bald skeptisch und misstrauisch beäugten. Doch nicht lange. Ihre Heiterkeit und Fantasie sprang rasch auf die Schüler und einige Lehrer der anderen Klassen über. Eine Schülerin meinte lachend: “Ich sag ja, Frau Honig ist ansteckend!”

Den Lesern dieses Buches dürfte es ähnlich ergehen. Sabine Bohlmanns “Frau Honig” scheint auch auf sie eine magische Wirkung auszuüben. Oder ist es einfach nur so, dass diese Mischung aus guter Laune, sprühender Freude, Lebenslust, positivem Denken und Witz jeden glücklich macht? Erich Kästner wusste um diese Wirkung von Literatur und empfahl in seiner “Lyrischen Hausapotheke” das Lesen gegen den Weltschmerz, ob klein oder groß.