Fast perfekte Morde

Two can keep a secret
von Karen M. McManus
Verlag: cbj
ISBN: 9783570165386

Wirft man eine Blick auf die in den letzten Jahren erschienen Jugendbücher, so müssen Kleinstädte die perfekte Szenerie für Thriller sein. Auch Karen M. McManus’ “Two can keep a secret” ist hier angesiedelt, ein von der ersten bis zur letzten Seite mitreißender Pageturner.

Zum Glück für das nur scheinbar verträumte Städtchen Echo Ridge siedeln die

High-School-Schüler Ellery und Ezra hierher um. Vermutlich wäre ohne die beiden die Düsternis, die wegen zwei ungelöster Verbrechen (ein Mädchen verschwand, ein anderes wurde ermordet) bislang über dem Städtchen schwebte, nie aufgeklärt und der Täter, der inmitten der Gesellschaft in fast perfektem Umfeld lebte, nie enttarnt worden. 

Schon ihre erste Begegnung mit Echo Ridge kündigt Aufregendes an: ein High-School-Lehrer liegt tot auf der Fahrbahn. Jemand muss ihn angefahren, kurz darauf aber geflüchtet sein. Auch wenn Ellery die Atmosphäre von True-Crime als ihr Hobby angibt, wird sie schneller in den Strudel der mysteriösen Ereignisse gerissen, als ihr lieb sein kann.

Dass sie sich mit ihrem Mitschüler Malcom gut versteht, hilft ihr nur begrenzt, gilt doch dieser wegen seines in Verdacht stehenden Bruders Declan als wenig glaubwürdig. Eine öffentliche Ankündigung des nächsten Mordes lässt ihren Atem stocken: ihr Name tauchte auch auf der “Todesliste” auf.

Der Roman enthält all das, was man an Krimis schätzt: ein Seite um Seite stärker werdendes Hineingezogenwerden, die zunehmend gruseliger und irrsinniger werdende Story sowie die überraschend-explosive, durchaus logische Wende am Schluss. Ein Blick auf unseren realen Alltag – und man kann sich Derartiges nicht nur in einer Kleinstadt vorstellen.

Fazit: ein Krimi der exzellenten Art, dessen Spannungsmomente und psychologische Struktur perfekt gesetzt sind. Karen M. McManus’ erstes Buch “One of us is lying” wurde von Jugendbuch-Jury des Deutschen Jugendbuchpreises nominiert. Eine solche Auszeichnung könnte man sich für dieses Buch auch vorstellen.

Mein Papa, der Bandit. Und ich.

Banditen-Papa
Von David Walliams
Verlag: Rowohlt-Rotfuchs
ISBN: 978-3499218446

Eigentlich hätte alles so gut werden können. Frank und sein Vater Gilbert waren ein “Dreamteam”, die sich mochten und zusammen hielten wie Pech und Schwefel. Geld war in Fülle da, Gilbert heimste bei Stockcarrennen grandiose Preise ein, alles happy also. Doch dann hob der Schicksalsengel Gilbert aus seiner rollenden Kiste und wirbelte ihn herum: Unfall, Amputation eines Beines, seine Frau lief zum Banditenchef über, kein Job mehr, kaum Geld zum Überleben. Da gab es für den liebevoll-warmherzigen Gilbert mit Blick auf die Zukunft seines Sohnes nur eine Lösung: Fahrer im Dienste einer Bankräuber-Gang, bei Mr Big und seinen knalldoofen Kumpanen Finger und Däumling. Frank allerdings, ein heller Kopf, war jedoch anderer Ansicht: Sein Vater und Mr Big – das geht gar nicht!

David Walliams, der Autor, erzählt so slapstickhaft und turbulent, dass man beim Lesen nahezu aus Zeit und Raum driftet. Wer den schwarzen englischen Humor mit seinen irr-skurrilen Szenen liebt, immer wieder laut auflachen will, ein Faible für verrückte, total abgedrehte Szenen hat, sich aber auch an einfühlsamen Momenten erbauen kann, für den ist dieses Buch ein “Must-Read”. Er wird das 400 Seiten starke Buch, gut gefüttert mit den genialen Zeichnungen von Tony Ross sowie den Schrift-Kunststückchen (fett, kursiv, klein, groß, lautmalerische, comicartig) in Windeseile durchlesen und am Ende glücklich aus der Hand legen.    

Lediglich bei der Figur Judith, der Pastorin, kippt David Walliams’ sonst so angenehm-schräger Witz in abwertende Lächerlichkeit um. Schade.

Rapunzel als Architektin mit kreativ-magischen Fähigkeiten

Power to the Princess:
Märchenbuch für mutige Mädchen
von Vita Murrow
Verlag: Carlsen
ISBN: 978-3551519085

Zur Freude aller siegt bei “Rapunzel” ganz am Ende das Gute über das Böse.  Bis der Prinz auftaucht, vergeht jedoch viel Zeit. Zeit der Erniedrigung durch die Hexe, des Leidens und der Fremdbestimmung. Dann aber naht aus heiterem Himmel ein Prinz im heiratsfähigen Alter als Rettung  – ein Glücksfall ohnegleichen!

Der aufgeklärte Mensch im Jahr 2020, besser gesagt, die Schriftstellerin Vita Murrow fragt sich: “Muss das so sein? Ein Leben in Abhängigkeit von einem Zufall?” Wer so fragt, dem liegt eigentlich die Antwort schon auf der Zunge: “Um Himmels Willen: Nein!”

Cool geht anders: Hier bittet Rapunzel die Hexe darum, den Turm, in dem sie gefangen gehalten wird, umbauen zu dürfen. Zunächst plant sie einen Aufzug an der Seite, kurz darauf ein paar Gästezimmer in luftiger Höhe, dann ein Baumhaus, das per Hängebrücke erreichbar ist sowie ein Kuppeldach mit buntem Glasgefüge für den Turm.

Als schlussendlich sich ein Prinz zeigt, war dieser hingerissen vom Turm und seiner genialen Architektin.

Vita Murrow bläst den Staub von 15 bekannten Märchen mit weiblichen Protagonisten. Im Original müssen diese schicksalsergeben auf den Prinzen warten, bei dieser Autorin packen sie beherzt an, gehen ihren eigenen Weg – und gewinnen. Was sich daraus ergibt, das sind Geschichten mit Wow-Effekt: erfrischend, positiv, ermutigend. In die heutige Zeit passend: So müssen Bücher sein.

Von einem, der in Kanadas Norden sich selbst und seine große Liebe findet

Schneetänzer
von Antje Bebendererde
Verlag: Arena
ISBN: 978-3401604411

Seit etwa dreißig Jahren beschäftigt sich die Schriftstellerin Antje Babendererde mit den Indianern Nordamerikas und deren Begegnung mit der europäisch geprägten Kultur. Ihre Auswertung erfolgt auf literarischer Ebene. Mit fiktiven Figuren in originärer Umgebung. Tritt ein Weißer in die Lebenswelt eines Indianerstammes ein, entwickelt sich eine spannende Interaktion, die allemal Überraschungen gebiert und  romantische Vorstellungen auflöst.

Doch dieser Jugendroman besteht nicht nur aus diesem, sondern aus einer Reihe von Spannungspolen: Der 18-jährige Jakob möchte seinen Vater kennen lernen, ist letztlich also auf der Suche nach sich selbst. Das Verhältnis zu seiner Mutter scheint gestört, hat er doch von ihr bezüglich seines Vaters bisher nur eine wirre Lügenstory aufgetischt bekommen. Von seinem Stiefvater erfährt er, dass sein biologischer Vater in Kanada lebt und Cree-Indianer ist. Später kommt dann noch ein dramatischer Unfall, eine Liebesgeschichte sowie die Missbrauchs- und Gewaltgeschichten in einem Internat hinzu. Etwas viel für einen Jugendroman.

Obwohl Jacob kurz vor seinem Abitur steht, drängt ihn die Neugierde um seine Herkunft in den kalten, winterlichen Norden von Ontario. Denn dort, in dem Städtchen Moosonee, zu dem es keine Straßenverbindung gibt, soll sein Vater wohnen.

Schon im Polar-Bear-Express lernt er ein Cree-Mädchen kennen, das mit seiner viel zu großen Jungenkleidung so ganz aus der Reihe fällt. Ihm gegenüber ist sie kurz angebunden, doch der Leser ahnt bereits, dass dieses Mädchen namens Kimi noch eine entscheidende Rolle im Roman spielen wird.

Greg Cheechoo, seinen Vater, wird Jacob erst am Ende kennen lernen. Zunächst macht er Bekanntschaft mit anderen Leuten aus Moosonee, die sich noch an ihn erinnern, schließlich hat er mit Vater und Mutter die ersten vier Jahre hier gelebt.

Faszinierendes Abenteuergeschehen im winterlich-eisigen Kanada steht für den ersten Teil, mit einem Kampf von Jacob gegen einen Bären als Höhepunkt. Dass Jacob im letzten Moment gerettet wurde, hat er Anak, einem alten Cree, zu verdanken. Dieser wohnt zusammen mit Kimi, dem Mädchen aus dem Polar-Express, seiner Enkelin, in einem einfachen Holzhaus.

Der zweite Teil des Romans ist der inneren Entwicklung Jacobs gewidmet. Während Kimi sich um Jacobs Gesundheit kümmert, lernt er Lebensweise, Gedankenwelt und Mythen dieses Indianerstammes kennen. Nebenbei genießt er die aufkommenden Frühlingsgefühle in seiner Beziehung zu Kimi.

Was er inmitten der kleinen Cree-Gemeinschaft erlebt und erfährt, lässt ihn tief in die Kultur, das Wesen und Denken dieses Volkes blicken. In Jacob findet nicht nur ein kognitiv-geistiger Lernprozess statt, sondern auch eine emotionale Annäherung, die ihn persönlich verändert.

Antje Babendererde erscheint es wichtig, innerhalb ihrer fiktiven Geschichte auch historische Ereignisse mit zu verarbeiten. So erzählt sie ausführlich von einem katholischen Internat in Moosonee, in dem Ordensleute (männlich und weiblich) Übergriffe sexueller und gewalttätiger Art verüben.

In der letzten, eher kurzen Einheit trifft Jacob auf seinen Vater. Aber zu diesem Zeitpunkt ist Jacobs Lern- und Umwandlungsprozess schon so weit fortgeschritten, dass diese Begegnung nur mehr eine Abrundung darstellt. Jacobs Suche nach seiner Identität ist geglückt. 

*

Antje Babendererde ist eine geniale Erzählerin, die den Leser mit traumhafter Sicherheit in andere Welten einführt. Auch wenn sehr viele Ereignisse rund um Jacob passieren, so folgt man dem Helden aufgrund ihrer munteren, frischen Sprache, des spannenden Sujets und des exotischen Settings gerne. Ausgezeichnet gelingt ihr die Schilderung des rauhen Klimas und der lebensbedrohlichen Landschaft. Auch die Beschreibung der Menschentypen, die das Leben, besser das Überleben in dieser Umwelt meistern, ist wunderbar.

Man hat jedoch den Eindruck, dass Babendererdes Indianer-Darstellung dem Idealbild von Jean-Jacque Rousseaus “Edlem Wilden” sehr nahe kommt: der Mensch ohne die Bande der Zivilisation sei von Natur aus gut. Dessen Falschheit ist inzwischen aber längst bewiesen.

Schade auch, dass sich die Autorin auch auf die höchst komplizierte und vielschichtige Kolonial- und Missionsgeschichte einlässt. Aber es scheint zurzeit en vogue zu sein, fiktive Jugendromane mit derartig emotional-aufwühlenden Themen “anzureichern”.