The Hate U Give

Von Angie Thomas
Verlag: cbj
ISBN: 978-3570164822

Mit dem Satz „Ich hätte nicht auf diese Party gehen sollen“ beginnt diese Geschichte. Zum Glück ging sie hin, die 16-Jährige Starr Carter, eine Farbige aus Garden Heights, einem großstädtischen Problemviertel der USA, sonst wäre dieses so wichtige, außergewöhnliche Buch nicht entstanden. Die Story birgt nicht nur spannende Erlebnisse der pubertierenden Starr im Umfeld von Rassismus, Wut, Liebe und Bandenherrschaft bis zur letzten Zeile. Es informiert den Leser so nebenbei über das öffentliche und private Leben einer schwarzen Community: über deren Gefühlswelt, deren täglichen Kampf ums Überleben und vor allem über die noch immer heftigen Knirschgeräusche beim Miteinander von Schwarz und Weiß. Um es gleich vorweg zu nehmen: Wer dieses Buch zur Hand nimmt, wird es so schnell nicht wieder weglegen. Es ist faszinierend, lebendig und authentisch geschrieben. In der New York-Times stand es lange Zeit ganz oben in der Bestsellerliste, in Deutschland bekam es jüngst den Jugendliteraturpreis. Zu Recht!

Auf besagter Party in Garden Heights fühlte sich Starr von Anfang an nicht wohl. Die jugendliche Subkultur ihres Viertels, die sich hier im Geruch von Gras, in persönlichen Anspielungen auf die Tatsache, dass sie Schülerin einer vor allem von Weißen besuchten Privatschule war, sowie in einer Schießerei ausdrückte, behagte ihr nicht. Als sie mit Khalil wegfuhr, wurden sie von einer weißen Polizeistreife aufgehalten. In ruppiger, nahezu handgreiflicher Weise wurde Khalil aus dem Auto gezogen und nach Drogen abgetastet. Der Polizist konnte nichts bei ihm finden, dennoch war Khalil kurz darauf tot. Erschossen von dem weißen Polizisten. Eine Szene, wie sie in einer Reihe ähnlicher Beispiele die letzten Jahre durch die Presse gingen. 

Die Tat blieb nicht ohne Folgen, weder für Starr selbst, noch für ihre Familie, nicht für die farbige Community, teilweise auch nicht für die Weißen in ihren hübschen, schnuckeligen Wohngegenden. Auf persönliche Sicherheit bedacht hofften Starrs Eltern zunächst, ihre Tochter aus den polizeilichen Untersuchungen, den Medienberichten, dem öffentlichen Rumoren sowie den Aktivitäten der Gangs raushalten zu können. Die Realität lehrte sie jedoch kurz darauf, sich von dieser Wunschvorstellung zu verabschieden. Woche um Woche wuchs Starr der Mut, sich den Missständen zu stellen und sie öffentlich zu nennen. Eine Entscheidung, die ihr Leben in große Gefahr brachte. Die gesellschaftliche Situation, die sich hier seit Jahrzehnten verfestigt hatte, war mehrschichtig:

  • Da waren die Vorurteile der Weißen den Farbigen gegenüber, die in einer Art Getto lebten.
  • Bei den Nachforschungen zu Khalils Tod spürte nicht nur Starr, dass die weißen Ermittler die Sachlage so erscheinen lassen wollten, dass Khalil ein Drogendealer war und dass sein Tod schon so in Ordnung sei.
  • Für die Farbigen jedoch war Khalil von einem weißen Polizisten leichtfertig ermordet worden. Die Geschworenen hielten ihn allerdings für unschuldig. 
  • In Garden Heights, der farbigen Community selbst, kämpften Drogenbanden um die Herrschaft, tägliche Schießereien waren nahezu an der Tagesordnung.
  • Das Viertel konnte den Jugendlichen keine Arbeitsplätze anbieten. So hielten sie sich mit Drogendealen über Wasser. 

Doch mit der Auflistung der Probleme allein würde dieses Buch nicht ein solch qualitatives Maß erreichen. Da muss schon so eine Art revolutionärer Umwälzung her, um die gesellschaftliche Erstarrung zu sprengen. Diesen Part übernimmt Starr, die Protagonistin, die parademäßig im Schnittpunkt zweier Kulturen steht. Im Schutze von bewundernswerten Menschen ihres Alltagslebens, die sie auch fördern und anregen, erlebt sie Erfolge. Rückschläge, Hass und Rassismus in ihrer engsten Umgebung bleiben jedoch nicht aus. Zum Glück zerbricht sie daran nicht, all das macht sie stärker.

Die farbige Autorin Angie Thomas, die diese Subkultur aus eigenem Erleben kennt, verankert Starr fest in ihrer Familie und ihrer Nachbarschaft. Dennoch – und das macht die Geschichte unendlich kraftvoll und spannend – verzichtet sie nicht auf den Blick auf die beiden Seiten einer Medaille. So erlaubt sich Khalil am Auto stehend dennoch zwei Schritte, obwohl er streng verwarnt worden war, sich zu bewegen; so schickt Starrs Familie ihre drei Kinder in eine teure Privatschule in weißer Umgebung, obwohl das Milieu in Garden Heights ihr originär-kultureller Nährboden ist, so ziehen sie schließlich von da weg, obwohl sie in der „besseren Gegend“ auf die menschliche Nähe und die Herzlichkeit der Nachbarschaft nahezu verzichten müssen. So genießt Starr das Befreundet-Sein mit Chris, einem Weißen aus reichem Hause, obwohl sie erst am Ende sich sicher sein kann, dass er ihre afroamerikanische Art zu denken und fühlen, versteht.

Mit Laune am Erzählen schildert die Autorin authentisch und witzig Details des Lebens in Starrs Familie, einer intakten, fröhlichen Einheit, die sich von den üblichen Alltagssorgen nicht aus der Rhe bringen lässt. Geradezu köstlich zu lesen aber ist der sprachliche Umgang miteinander sowie das sich Aufgehoben-Fühlen beim „Schwarzen Jesus“. 

Dieses Buch kann gleichberechtigt neben anderen großen Romanen aus den USA stehen, die neben der persönlichen Geschichte der Protagonisten auch das gesellschaftliche Gefüge ihrer Zeit brillant beschreiben und erklären. „Onkel Toms Hütte“ wäre hier zu nennen, „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“, aber auch „“Wer die Nachtigall stört“. Ein moderner Klassiker also, das sich definitiv auch als Schullektüre eignet, auch wenn da 500 Seiten zu lesen sind.