„Ich habe wahnsinnig schöne Erinnerungen an meine Kindheit.“

Gespräch mit dem „Vater der Olchis“ Erhard Dietl

Albert Hoffmann/ Antolin: Herr Dietl, Sie haben mit Ihren Olchi-Büchern einen Riesen-Erfolg gelandet. Kaum ein Kind in Deutschland, das Sie nicht kennt. Vier Olchi-Bücher sind in Antolins Top 100. Hatten Sie dies so erwartet?

Erhard Dietl: Nein, das war nicht zu erwarten. Es begann eigentlich ungeplant. Kein Gedanke daran, dass aus der Olchi-Idee eine Serie wird. 1989 schrieb ich das erste Olchi-Büchlein: ein kleines Bücherl in Schwarz-Weiß. Nach zwei Jahren kam das nächste, weitere zwei Jahre später ein anderes. Es ging also ganz langsam los. Die Idee hat sich aber dann eigenständig entwickelt – durch den Zuspruch der Kinder. Ja, so könnte man sagen.

Inzwischen existiert eine eigene Olchi-Welt. Neben Büchern gibt es ein Musical, eine Olchi-Zeitschrift, Olchi-Lernheften für Einmaleins- und Rechtschreib-Übungen; Radiergummi, Stifte, Spitzer, Federmäppchen. Seit Kurzem erscheinen die Olchis auch in einer Art Bilderbuchkino im Internet. Können Sie als Autor und Illustrator noch ruhig sein, wenn Sie sehen, dass Ihre Olchi-Bücher nun auch im Internet, in Onilo.de, gelesen werden können?

Ja, da bin ich ganz entspannt. Ich denke, dass beide Formen, das physische und das digitale Buch, nebeneinander Platz haben. Die Internetgeschichte macht die Kinder aufmerksam auf die Olchis, anschließend greifen sie auch zum Buch. Da bin ich sicher. Das Wichtigste ist, dass die Kinder überhaupt zum Lesen gebracht werden.

Als Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ zum ersten Mal erschien, gab es wütende Proteste von Seiten der Lehrer. Wie war das 1990, als das erste Olchi-Buch auf den Markt kam?

Beim Erscheinen des Buches noch nicht, aber kurz darauf ging es los. Bei Lesungen, zu denen ich von Schulen eingeladen war, wurde mir schon sehr deutlich gesagt: „Herr Dietl, lesen Sie aber bitte nicht aus dem Olchi-Buch vor! Die Eltern haben das nicht so gerne, wegen der schlimmen Ausdrücke, die da vorkommen und auch wegen dem Rülpsen und Pupsen oder dem Werfen mit Schlamm-Knödeln.

Irgendwie verständlich, denn die Olchis machen ziemlich genau das Gegenteil von dem, was in unserer Gesellschaft geschätzt wird, wie zum Beispiel Sauberkeit, Ordentlichkeit, Hygiene, nette Umgangsformen, Fleiß.

Jetzt allerdings hat sich die Sachlage geändert. Nun stehen die Schultüren für die Olchis weit offen und ich werde sogar aufgefordert, aus den Olchi-Büchern vorzulesen. Die von Ihnen genannten Tugenden werden durch die Olchi-Bücher nicht außer Kraft gesetzt, sondern zur Diskussion gestellt. Beispiel: Die Olchis waschen sich nicht. Da habe ich als Lehrer schon das Thema „Waschen“ vorgegeben. Man kann nun drüber reden. Oder: „Müll“. Da habe ich ein weiteres Thema der heutigen Zeit. „Wer macht den Müll? Wo kommt er her? Warum leben die Olchis im Müll?“ Das führt zum Nachdenken.

Wollten Sie von Anfang an mit den Olchis den Lehrern Diskussionsstoff geben – oder entwickelte sich das einfach so?

Das ergab sich so im Laufe der Zeit. Man kann nicht alles von Anfang an durchdenken. Der Ausgangspunkt für die Olchis war eine Familie, die ich als kleine „Monsterfamilie“ kannte. Sie war etwas anders, hatte auf ihre Nachbarn vom Äußerlichen her erschreckend gewirkt. Auf der anderen Seite war sie absolut sympathisch. Ich hatte das Gefühl, diese Familie (Oma, Opa, Vater, Mutter, viele Kinder) tut etwas, was wir „Normalbürger“ schon verlernt haben. Sie singen, unternehmen viel gemeinsam und sind unglaublich nett zueinander.

Während Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ ein Menschenkind ist, sind die Olchis – und das haben Sie ja ganz raffiniert gemacht – eigentlich keine menschlichen Wesen, auch wenn sie großteils so aussehen. Bei allem Haarsträubenden, was die Olchis tun: Sie sind ja keine leibhaftigen Menschen.

Das ist richtig. Ich weiß auch nicht genau, wo die eigentlich herkommen. Ich gehe davon aus, dass sie aus Eiern entstanden sind. Sie haben so etwas Dinosaurierhaftes an sich. Aber darüber musste ich mir noch keine Gedanken machen.

Warum verlangen die Kinder nach den Olchis?

Vielleicht das Wichtigste – und das weiß ich von vielen Kinder-Briefen: die Olchis sind lustig. Über sie können die Kinder lachen. Zweitens können die Kinder sich leicht weitere Olchi-Szenen ausdenken, schreiben und zeichnen. Vermutlich regen die Olchis die Kinder an, sich eigene Gedanken zu machen.
Drittens würden viele Kinder heute gerne mal im Schlamm wühlen, mit Sand werfen und in Pfützen springen. Doch das dürfen sie nicht. Die Sauberkeit steht ganz oben. In den Olchibüchern erleben sie zumindest geistig die Schlammspiele. Ein zusätzlicher Grund ist sicherlich das Zusammenhalten dieser Familie. Heutzutage erleben unsere Kinder dieses Aufgehobensein in einer Familie (mit Oma, Opa, Baby) nicht mehr unbedingt. Die Olchis sind unendlich nett zueinander. Das finden unsere heutigen Kinder klasse. Und die beständige Fröhlichkeit der Olchis tut den Kindern, glaube ich, gut.

Sie schreiben auf Ihrer Webseite, dass Sie sich Ihre „Kindheit als Schatz“ bewahren möchten. Versteckt sich da Olchiges?

O ja, wir Kinder haben viel draußen in der Natur gespielt, an der Donau Floße gebaut, mit Erde geworfen. Wir waren immer wieder schrecklich dreckig. Aber wir konnten alles selbst ausprobieren. Ich habe wahnsinnig schöne Erinnerungen an diese Abenteuer, an diese Freiheit – gleichzeitig aber wusste man, dass man in der Familie geborgen war. Bei mir waren das vor allem auch die Großeltern mit ihrem Garten.
Und so ist es bei den Olchis: einerseits das Erleben der Freiheit, andererseits das Wissen um die Geborgenheit. Das funktioniert nur, wenn beides: Freiheit und Geborgenheit gegeben ist. Eines allein macht keinen Sinn. Die Olchis haben beides.

Für die Olchi-Geschichten mussten Sie neue Wörter prägen, die es so im Duden nicht gibt: „oberolchig“ zum Beispiel.

Stimmt. Ein anderes Wort ist „krötig“, das etwas Positives ausdrückt. Ach, es gibt eine ganze Liste davon.

Sie haben es geschafft, an die die Kinderseele heranzukommen: mit der Olchi-Idee, aber auch mit Ihren Illustrationen.

Man bemüht sich mit jedem Kinderbuch, aber es gelingt nicht immer. Die große Planung war, wie schon gesagt, nicht da. Es muss die Intuition gewesen sein.

Ihre Olchi-Zeichnungen weisen verwandte Züge mit der Comic-Welt auf. Die Figuren sind leicht erkennbar: einfache Formen, klare Farben, nicht zu sehr detailverliebt

Das ist gut so. Die Figuren werden sehr gerne nachgezeichnet. Das war mir auch wichtig, dass die Kinder nicht zu große Mühe damit haben. Die Gestalten sind leicht zu durchschauen. Das ist eine Kugel – und da hängt dann ein bisschen was dran. Mit wenig Strichen viel aussagen, das ist so ein bisschen auch mein Motto. Allerdings entstand dies auch aus einer Not heraus. Ich hatte vor ein paar Jahren so viel zu zeichnen – und da hatte ich das Gefühl: Ich habe keine Zeit für Detailverliebtheit.

Aber rund um die Olchis herum spielt sich das pralle Leben ab, mit vielen Besonderheiten und witzigen Einlagen, einem Wimmelbild nicht unähnlich.

Das ist wichtig, dass eben die Kinder ständig etwas zu entdecken haben. Sehr gerne mag ich beispielsweise die kleinen Insekten, die ich da immer herumfliegen lasse. Die kommen in vielen Büchern vor, die ich mache. Das muss im Text nicht unbedingt vorkommen.

Was war 1989 von den Olchis zuerst da, die Zeichnung oder der Text?

Ganz klar: die Zeichnung. Die ersten Olchis entstanden damals als Strichzeichnung aus einer Laune heraus, so nebenbei. Dann lagen die Figuren einfach so da und ich dachte mir: Da könnte man sich vielleicht eine Geschichte dazu ausdenken.
Der erste Verlag, dem ich diese Geschichte schickte, wollte sie allerdings nicht. Der zweite Verlag, dem ich zunächst nur mal die Bilder geschickt hatte, sagte sogleich zu. Als er den Text sah, hieß es: Da müssen wir aber noch einiges umändern. Deswegen kam auch eine Dame von Hamburg nach München und arbeitete mit mir den Text um. Kurz darauf hieß es aus Hamburg: „Jetzt ist der Text ja noch viel schrecklicher als vorher! Nein, wir lassen den Text so, wie er war.“ Das war das erste Olchi-Buch.

Wenn ein Olchi entsteht: Fangen Sie zuerst mit dem Bleistift an?

Ja, mit dem Bleistift zeichne ich die Konturen. Hier kann ich problemlos ausbessern und verändern. Dann habe ich so Tuschstifte, mit denen ich die fertigen Konturen nachfahre. Dann habe ich alles schwarz-weiß. Anschließend male ich alles mit Wasserfarben brav an.

Kinder malen oftmals sehr gerne mit dem Filzschreiber.

Den finde ich furchtbar. Mit dem Filzschreiber kann man nichts anfangen.

Sie sind bei den Olchis Autor u n d Illustrator.

Das ist das Ideale. Eigentlich habe ich als Illustrator angefangen – mit dem Illustrieren der Franz-Geschichten von Christine Nöstlinger. Glücklicherweise hat sich Christine Nöstlinger nie beschwert. Einmal sagte sie: „Wann du maanst, de Katz derf ned schwoaz, sondern grau sei, dann machs eifach grau.“ Manchmal wusste ich auch nicht, was die Nöstlinger meinte. Da hieß es zum Beispiel: „Franz geht runter vom 2. Stock und leert den Mistkübel aus.“ Verflixt, dachte ich mir: 2. Stock – Mistkübel? Hat ein Bauernhof einen 2. Stock? Trägt man den Kuhmist in Österreich mit dem Mistkübel raus? Ja, sogar zwischen Bayern und Österreich gibt es manchmal Sprachprobleme („Mistkübel“ = Abfalleimer).

Also, Sie empfinden es als beste Lösung, bei dem Entstehen eines Buches Autor und zugleich Illustrator zu sein.

Ja, es ist beides gleich anstrengend (lacht). Gerade habe ich ein neues Buch fertig geschrieben – und da denke ich mir: Ach, endlich wieder zeichnen können – das ist schön! Aber nach zwei Wochen Zeichnen will ich wieder unbedingt etwas schreiben. Und am Ende einer solchen Phase bin ich wieder unendlich froh, endlich fertig zu sein.

Herr Dietl, Sie sagen in einem biografischen Text, dass Sie als Kind sehr gerne Wilhelm Busch, Erich Kästner und F.K. Wächter gelesen haben.

Ja, ich habe mich komischerweise immer dem hinzugezogen gefühlt, was das normale Leben gestört hat. Mit dem „normalen Leben“ konnte ich nicht viel anfangen. Die Dinge mussten schon ein wenig skurril sein. Oder besser, ich fragte einfach immer: Warum ist das so?

Ich habe gelesen, dass Sie in ihrer Grundschulzeit schon liebend gerne „Bücher“ gemacht haben.

Ja, das waren eigentlich Hefte, Schulhefte. Ein Heft war als „Zeitung aus dem Jahr 2500“ gestaltet. Da habe ich mir Nachrichten aus dem Alltag ausgedacht und Fantasiegeschichten hineingeschrieben.

Haben Sie diese Büchlein Ihrem Lehrer gezeigt?

Das hätte ich mich nie getraut. Diese Nähe zum Lehrer hatte damals keiner. Man hatte lediglich brav gemacht, was der Lehrer angeordnet hat. Wahrscheinlich habe ich diese den Eltern gezeigt, damit sie mich loben (lacht).

Wenn man wie Sie schon so viel erreicht hat – hat man da noch Träume?

Ich habe nicht das Gefühl, dass ich schon so viel erreicht habe. Bei mir ist es eher so, dass ich in mir spüre: D a s tolle Buch, das muss ich erst noch schreiben. Da bin ich immer noch auf der Suche danach.

Herr Dietl, haben Sie eine Botschaft an die Kinder der Welt?

„Seid nett zueinander!“ Oder, wie ich es meistens ausdrücke: „Nehmt euch nicht gegenseitig die Schaufeln weg!“ (lacht)

Herr Dietl, wir bedanken uns für dieses Gespräch

Albert und Marieluise Hoffmann